Meine Hand schnellt vor und meine Finger schließen sich fest um mein Glas Cider. Genau zur richtigen Zeit. Der junge Ire vor mir auf der Treppe fällt zwar über meine Füße, aber mein Getränk bleibt heil. ‚Sorry.‘ entschuldigt er sich mit schwerer Zunge. Er stellt sich mir vor. ‚Mein Name ist Patrick. Ich glaube meine Hose ist irgendwie zu eng.‘ Sein Gesichtsausdruck zeigt, er glaubt an diese Version seiner Bewegungseingeschränktheit tatsächlich. Wie er schwerfällig die Treppe hinauf schwankt sehe ich ihm nach. Ich sitze auf den Stufen, die in die obere Etage des Pubs führen. Ein ungünstiger Platz, im ersten Stock befinden sich auch die Toiletten. ‚The Oliver St. John‘ quillt aus allen Nähten und immer wieder strömen neue Menschen ein. Einen freien Stuhl oder Hocker gibt es längst nicht mehr. Die Leute sitzen sich praktisch auf dem Schoß. Nach ein paar Minuten wankt der junge Ire die Treppe wieder hinab. Ich rutsche instinktiv zum Geländer, mein Glas wieder fest umfasst.
Ich sehe dem Mann nach, eigentlich ein hübscher Kerl, aber sternhagelvoll. Irgendwie scheint er nicht zu seinem Platz durchzukommen. Der Versuch seinen Vordermann beiseite zu schieben endet in einer hitzigen Diskussion. Dann geht alles ganz schnell. Eine Faust fliegt am geraden Arm durch die Luft. Die geballte Hand landet absolut präzise auf der Nase des Diskussionspartners. Dieser fällt um wie ein Sack und bleibt liegen. Ich kann kaum fassen wie zielgerichtet der Schlag trotz des Alkoholpegels ausgeführt ist. Sofort kommen zwei Sicherheitsleute und packen den Unruhestifter an Armen und Beinen. Wie ein Käfer auf dem Rücken hängt er in der Luft und zappelt wild mit allen Gliedern. Patrick fliegt aus dem Pub und es kehrt sofort wieder geselliges Treiben ein. Niemand nimmt Notiz von der kleinen Auseinandersetzung.
Dublin mit seinen vielen Pubs ist eine lebendige Stadt. Den ganzen Tag war ich durch die Stadt geschlendert. Mein Hotel liegt in der Nähe des Trinity College mit seiner uralten Universitätsbibliothek. Neben der Uni steht das Dubliner Schloss mit einer schönen alten Bücherei. Ich spazierte durch die Straßen Dublins. Vorbei an der St. Patrick Kathedrale führte mein Weg mich bis zum Kilmainham Goal.
Das alte Gefängnis veranschaulicht den irischen Widerstand gegen die britische Regierung bis zur Unabhängigkeit Irlands. Obwohl das Gefängnis 1924 geschlossen wurde, ist es immer noch ein kalter Ort. Der frostige Hauch von Pein und Unmenschlichkeit, der die Räumlichkeiten durchweht, jagt mir einen Schauder über den Rücken. Die sterile Kälte ist spürbar, ich friere. In den kleinen, überschaubaren Zellen waren die irischen Rebellenführer und nationalistischen Politiker eingesperrt. Auf dem mit Kies bestreuten Platz, der zur Haftanstalt gehört, wurden sie erschossen. Bis zu 5 Personen wurden in einer Zelle untergebracht. Eine Kerze musste für alle reichen.
Nach dem bedrückenden Erlebnis im beengenden Gefängnis will ich im Pub auf fröhlichere Gedanken kommen. Die Freude der Iren am Feiern steckt mich sogleich an, die unangenehme Atmosphäre des Gefängnisses fällt von mir ab und ist bald vergessen. Ich mag die irische Mentalität. Die Freundlichkeit der Menschen macht es mir leicht mich wohlzufühlen. Einen freien Sitzplatz finde ich nicht. Der Pub ist völlig überfüllt, die Menschen stehen und sitzen dicht zusammen. ‚In diesem Pub kann wenigstens niemand umfallen, so bleiben auch alle Betrunkenen stehen.‘ denke ich zu diesem Zeitpunkt noch. Ein paar Minuten später werde ich eines Besseren belehrt, als ein junger Ire den Fussboden küsst.