Die Farben von Antigua

Als ich am Morgen die Augen aufschlage, durchquert unser Bus bereits die  Altstadt von Antigua. Wir halten vor einem Hostel, ich will mir dort ein Zimmer nehmen. Missmutig krame ich in dem gewebten Beutel aus Guatemala City nach US$. Der Rest des Geldes steckt ja in meinen Socken, das will ich ungern öffentlich zeigen. Ich kratze den letzten Cent zusammen, für ein Zimmer mit Bad reicht es nicht. Kevin aus Kanada ist Zeuge meiner Misere. Wenige Minuten vor meinem Eintreffen wurde ihm das letzte Zimmer ohne Bad angeboten. Er zeigt sich spendabel „Du kannst das Zimmer haben, dafür reicht ja Dein Geld.“ offeriert er mir. Dankbar schenke ich ihm ein Lächeln und zahle auch gleich den Flughafentransfer nach Guatemala City. Um 4h morgens muss ich am nächsten Tag Auschecken, innerlich stöhne ich über die frühe Uhrzeit.

„Hast Du schon gefrühstückt?“ frage ich Kevin. Er verneint, gemeinsam suchen wir ein Cafe. Kevin renoviert Häuser, in erster Linie die Böden. Er liebt seine Arbeit, weil er am Ende ein Ergebnis sieht. Vor seiner Abreise hat er an einem Projekt teilgenommen, dass die Wohnungen von Behinderten saniert. Diese Begegnungen prägen ihn am meisten, erklärt er mir. „Normalerweise sagen die Kunden zu mir ‚Das hast Du prima gemacht, sehr gute Arbeit.‘ Menschen mit Behinderung können sich nicht so präzise ausdrücken. Sie kommen nach Hause, sehen die Veränderung, sie klatschen vor Verzückung in die Hände oder wedeln mit den Armen. Diese Menschen haben eine besondere Art ihre Begeisterung auszudrücken. Das ist das Magische, deshalb mag ich meine Arbeit.“ Ich kann ihn gut verstehen, beruflich möchte ich mich selbst verändern. Etwas Neues, was mich erfüllt, ich gerne mache und ein Ergebnis meiner Arbeit sehe. „Arbeite doch für mich.“ schlägt Kevin vor. Wann er zurück nach Kanada geht, weiß er nicht. „Wenn ich ankomme habe ich viele Aufträge. Aber die Menschen in meinem Land haben keine Eile, ich kann alles erledigen, wenn ich wieder da bin, ohne feste Zeitvorgabe. Ich schätze Frauen als Mitarbeiter. Sie haben ein besseres Auge für Details als Männer und sind genauer.“ Er lebt auf einer kleinen Insel nahe Vancouver direkt am Ufer, im Sommer ziehen die Wale an seinem Haus vorbei.  Ich erzähle von dem Überfall, in Guatemala City war er nicht. „Ich meide die großen Städte.“ führt er aus. „Jemand sagte mir, ich würde Schwierigkeiten wegen meinen Tattoos bekommen. In Guatemala sind fast ausschließlich Mitglieder von Banden tätowiert. Diese könnten sich durch meine Motive beleidigt fühlen. Bisher habe ich noch nichts dergleichen wahrgenommen.“ So weit ich sehen kann, ziehen sich die blauen Bilder regelmässig über Kevins Haut. Ich wünsche ihm eine gute Reise und das ihm nichts passiert.

Antigua ist aufgrund seiner schönen Kolonialarchitektur zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt worden. Nach dem Frühstück schlendere ich an den bunten Häusern entlang, die das Straßenbild prägen. Das wolkenlose Blau des Himmels umrahmt das atemberaubende Panorama aus Bergen und Vulkanen. Früher war Antigua sogar Hauptstadt von ganz Zentralamerika. Ich spaziere durch die gemütliche kleine Stadt, die Gassen sind gesäumt von Geschäften und kleinen Cafes. Mein Weg führt mich zum Markt von Antigua. Direkt vor den Ruinen einer Kirche bieten Indiofrauen ihre vielen Waren an. Mayastatuen, Totenköpfe, Pfeifen und auch Taschen. Ich stöbere nach günstigen Schätzen. Gotteshäuser hat die Stadt sehr viele, die meisten bestehen nur noch aus Ruinen. Die wenigen in Stand gehaltenen Kirchen werden von der Bevölkerung regelrecht heimgesucht. Auch in Antigua dominiert die Religion den Alltag. Ich spaziere an unzähligen Kirchen vorbei bis zur gelben Kathedrale La Merced. Die detaillierte Ausarbeitung der Fassade beeindruckt mich.

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In der Nähe treffe ich Giovani auf einen Kaffee. Nebeneinander laufen wir durch Antigua, es ist unser letzter gemeinsamer Tag. In der nächsten Kirche erklärt er mir welche Bedeutung den einzelnen Farben der Kerzen zukommt. Gelb steht für Sicherheit im Leben, Grün für mehr Geld, Blau für Erfolg bei der Arbeit und Rot natürlich für die Liebe, Rosa verheißt Gesundheit. Ich kann mir nicht alles merken, es gibt noch weitere Farben. Giovani kauft eine vielfarbige Kerze in einem kleinen Glas und entzündet sie für meine Schwester. Die Arme erliegt derzeit einer schlimmen Erkältung und hat uns ein Bild aus dem Krankenbett geschickt. Für die Diebe meiner Tasche entzünde ich auch eine Kerze. Das Volk Guatemalas hat jede Hoffung auf Besserung seiner Situation durch die Regierung verloren. Ich wünsche mir, dass die Politik sich ändert. Schweigend stehen wir vor den brennenden Lichtern, die Stimmung in der Stadt ist ruhig, entspannt und friedlich.

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Wir gehen durch die Innenstadt, auf der Suche nach einem gemütlichen Restaurant. Mein Blick wird immer wieder von den drei Vulkanen angezogen, die Antigua umrahmen. Schon bald finden wir ein gutes Lokal mit besonderem Angebot, das günstigere Gericht ist frei. „Du bist für mich die perfekte Frau. Wenn wir verheiratet wären, würdest Du mir so viel gutes Kochen.“ Ich respektiere Giovanis Tagtraum und nehme einen Schluck Wein, um mein Lächeln zu verdecken. Er kennt meine mangelnden Kochkünste nicht und ich verschweige sie. „In einem Paralleluniversum.“ fügt er hinzu, verheiratet ist er ja. Er gibt mir seine Firmenadresse, ich werde ihm ein Päckchen aus Deutschland schicken, wenn ich wieder zu Hause bin. Am frühen Abend trennen wir uns. Ich möchte noch etwas Schlaf finden, bevor ich zum Flughafen muss. „Vielleicht komme ich Dich bald in Deutschland besuchen.“ meint Giovani. Er grinst. „Und dann sagst Du, liebend gern, aber zu diesem Zeitpunkt bin ich in Tokio.“ Das kann passieren, wir lachen. Ich umarme ihn und ziehe winkend die Tür zum Hostel zu. Es ist wunderbar, einen Menschen wie ihn zu kennen. Nie hätte ich geglaubt, dass meine Tour so ereignisreich zu Ende geht.

Um 4h bringt mich ein Minibus zum Flughafen in Guatemala. Ich habe leider keinen Nachbarn wie Max, der Passagier neben mir interessiert sich nicht für mich. In Frankfurt gelandet umfängt mich sofort die Kälte des deutschen Winters. Trotzdem freue ich mich zurück zu sein. Ich telefoniere kurz mit meiner Mutter. Sie will mich am Bahngleis abholen, ich mache einen Zwischenstop in meiner Heimatstadt.

Keuchend klettert sie die Treppe hoch, Schritt für Schritt. Sie kann kaum sprechen, ihr Atem geht stoßweise und unregelmässig, so aufgeregt ist sie. Sie hält mich fest umarmt, glaubt erst jetzt, dass ihr Kind in Sicherheit ist. Meine Schwester und ich sind Schlüsselkinder, wir wurden zur Selbstständigkeit erzogen. Beide Elternteile waren arbeiten, wir liefen jeden Tag allein von der Schule nach Hause. Nie hätte ich gedacht, dass meine Mutter solche Angst um mich haben könnte. Ihr Atem stabilisiert sich in meiner Umarmung, sie küßt mich auf die Wange.“Du bist gesund zurück.“ lächelt sie. In ihren Augen sehe ich meine Erleichterung gespiegelt. Ich spüre den Fels, der sich von ihrer Schulter rollt, schon zieht mich der Ballast herab. Nie wieder werde ich meine Familie so einer Panik und ungewissen Situation aussetzen und durch meinen Leichtsinn so schaden. Ich wiederhole Entschuldigungen, kaum hörbar, um uns fällt der Schnee. Meine Mutter hält mich immer noch umfasst, die anderen Reisenden haben sich schon verstreut. Mutter ist man ein ganzes Leben, egal wie groß die Kinder sind. Meine ist eine besondere Frau, ihre Berührung holt mich zurück auf den Boden meines Alltags, hält mich sicher und warm. Obwohl ich zehn Zentimeter größer bin als sie, bin ich beeindruckt, wie ihre Welt funktioniert. Wie ich meinen Aufenthalt in Salvador oder Honduras gestalten will, weiß ich erstmal nicht. Zentral- und Südamerika werde ich das nächste Jahr meiden, sonst erliegt meine Mutter womöglich einem Herzinfarkt. So geht diese Reise zu Ende wie sie angefangen hat, auf dem Bahnsteig meiner Heimatstadt stehe ich neben meiner Mutter.


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