Ich kündige meinem Bodyguard

Es ist gerade 8:00h, ich checke aus. Bis zum Bus nach Flores heute Abend ist noch viele Stunden Zeit. Dann bleiben Hass und Gewalt der Großstadt zurück, aber auch hilfsbereite, freundliche Menschen und intensive Begegnungen mit deren Alltag. Langsam schlendere ich aus meinem Hotel, es ist noch zu früh für schnelle Bewegungen. An der Ecke stehen die Beamten der Touristenpolizei. „Gibt es hier irgendwo Cafe Americano?“ frage ich einen der Polizisten. Mein Blick ist müde, schlaftrunken spielt ein Gähnen um meine Mundwinkel. „Wir sind hier in Zona 1, in der Nähe gibt es das nicht.“ seine Antwort kommt prompt, er muss nicht lange überlegen. Irgendjemand hat Agente Hernandez informiert, die Touristin aus Deutschland hätte gerne einen richtigen Kaffee. Schon biegt der junge Mann um die Ecke. „Wir können Dich zu Mc Donalds mitnehmen.“ schlägt er vor. Das Polizeiauto ist voller Gesetzeshüter, wir sitzen dicht gedrängt wie die Sardinen. Unser Bus hält an diversen Abteilungen der guatemaltekischen Polizei. Wir fahren alle Kollegen zur Arbeit, konsequent spuckt der Wagen Polizisten aus. Wenig später biegt der Wagen in den Drive-In und ich halte meinen Kaffee in der Hand.

Die konstante Polizeipräsenz um mich kommt mir seltsam vor. An die ständige Begleitung möchte ich mich nicht gewöhnen. Ich zeige Agente Hernandez Fotos von meiner Familie. Ich habe eine Schwester, er hat 6 Brüder. „Seit mehr Frauen studieren geht der Trend immer mehr zu 2 – 3 Kindern. Nachwuchs zu haben, gehört aber einfach dazu.“ klärt er mich auf. „Die Kinderzahl pro Frau liegt in Deutschland bei 1,3.“ setzte ich entgegen. Er runzelt die Stirn, nur ein Kind ist für ihn undenkbar.

561.JPG

Wir halten am Palacio Nacional. Leider können wir nicht hinein. Der Präsident verkündet heute sein Regierungsprogramm für das nächste Jahr. Für die Öffentlichkeit ist der Palast gesperrt. Ich frage nach dem Weg in die Innenstadt. Ich will zur Casa Mima. Im früheren Haus einer wohlhabenden, guatemaltekischen Familie zeigt dieses Museum wie man im 19. Jh gewohnt hat. Agente Hernandez will vor dem Museum auf mich warten. „Die Besichtigung dauert sicher eine Stunde.“ widerspreche ich. Sein Schulterzucken signalisiert, es macht ihm nicht aus. Mir schon. „Ich nehme mir später ein Taxi zur Polizeistation.“ Mein Angebot ist indiskutabel. Hernandez zögert kurz und geht, eigentlich ist er froh. Erleichtert atme ich auf. Ein angenehmes Gefühl nicht mehr beobachtet zu werden, wieder ohne Gesellschaft zu sein. Ich betrete das elegante Haus im Kolonialstil. Um den schönen Innenhof gruppieren sich zahlreiche Zimmer. Bis auf die Architektur gibt es viele Parallelen zum Heimatmuseum meiner Geburtsstadt. Etwa die eisernen Bügeleisen oder Holzmöbel mit vielfältigen Schnitzereien. Wirklich Neues erspähe ich aber nicht. Nach dem Museumsbesuch spaziere ich durch die Straßen. Jeder Schritt stabilisiert mein Urvertrauen. Noch ein paar Meter, ich fühle mich völlig sicher. Der Überfall ist wie ein negatives Traumbild, das mit zunehmendem Tageslicht verblasst. Ich denke nicht mehr daran.

753

Ich treffe Giovani in der Avenida 6 auf einen Kaffee. Wir spazieren durch die Straßen. Er zeigt mir alltägliche Dinge, wie die Ballettschule oder Kulturzentren, in denen Mal- und Skulpturkurse angeboten werden. Die Volkshochschule von Guatemala City. Wir bleiben auf der rechten Straßenseite, gegenüber steht keine Polizei. Ich verstehe, wie blind man als Tourist durch diese Stadt läuft. Welche Seite des Gehsteigs akzeptabel ist, kann man gar nicht wissen.

Für die unglaubliche Unterstützung in den letzten Tagen lade ich Giovani zum Essen ein. Er soll sein Lieblingsrestaurant wählen. Über dem Eingang prangt ein großes Bild des Lago de Atitlan. Die Grillgerichte sind fantastisch, wir trinken ein gutes Glas Wein dazu. Ich bedanke mich in stockendem, schlechten Spanisch für die viele Hilfe in den letzten Tagen. Abgehakt kommen meine Sätze, meine Kenntnisse der Sprache sind viel zu schlecht. Er versteht mich sofort, meine Dankbarkeit ist mir ins Gesicht geschrieben, ich muss nicht viel erklären. Er gibt mir ein kleines Päckchen Kaffee aus Guatemala für meine Mutter .

Ich überfliege den Text. Die höflichen und respektvollen Zeilen entlocken mir ein Lächeln. „Verehrte Senora Gabriele, meine besten Wünsche für Sie und ihre Familie. Es war mir ein Vergnügen Lisa kennen zu lernen, sie ist eine sehr intelligente Frau mit einer exzellenten Erziehung. Mit meiner ganzen Wertschätzung die besten Wünsche für dieses neue Jahr. Giovani“ Verlegen stochere ich in meinem Essen. Mit Komplimenten hatte ich nicht gerechnet. Das aus einer solch unangenehmen Situation so schöne Tage werden ist eine besondere Erfahrung. Ich bin dankbar dafür. Viele Menschen haben sich große Mühe gegeben meinen Aufenthalt in Guatemala City unvergesslich zu gestalten. Mit ihrer Freundlichkeit und ihrem Interesse haben sie es geschafft.

Giovani mag die deutsche Kultur. Am tollsten sind das Oktoberfest und klassische Musik deutscher Komponisten wie Wagner. Deutschland hat er noch nie besucht, aber er hat eine perfekte Vorstellung. Ich versuche zu erklären, dass auch das System unseres Staates nicht perfekt ist. Wir wühlen uns durch deutsche Bürokratie, konservative Ämter und die mangelnde Geburtenrate. „Viele Deutsche sollten nach Guatemala kommen, um die Mentalität und das Denken der Guatemalteken zu ändern.“ meint er mit Nachdruck in der Stimme. „Gegen die Korruption und für ein Ankurbeln der Wirtschaft, sonst ändert sich ja nichts.“ Ich kann seine Meinung nicht ändern und verstehe ihn auch. In einem Land wie Guatemala muss eine Gesellschaft mit sozialer Absicherung, Rente und funktionierendem Gesundheitssystem wie das Paradies erscheinen. Auch wenn ich selbst öfter jammere, es geht uns doch gut.

Giovani setzt mich an der Polizeistation ab. Es fällt mir fast schwer weiterzuziehen. Um den Überfall bin ich nicht froh, wohl aber um die positiven Kontakte. Die wunderbaren Menschen, die das Wenige was sie haben mit mir teilen und es sogar als Bereicherung ansehen. Die Touristenpolizei hat ein Geschenk für mich vorbereitet. Eine CD mit guatemaltekischer Musik, eine Landkarte von Guatemala und eine Mütze mit Sonnenschutz liegen im Paket. „Das wirst Du brauchen.“ meint Kommissar Castillo. Er entschuldigt sich, dass er mich heute nicht begleitet hat. Touristen haben einen Vulkan bestiegen, ohne sich bei der Polizei zu melden. In der Nacht sind alle erfroren, derzeit bergen sie die Leichen. „Wir haben bisher 8 gefunden.“ meint der Commissario. Er lässt es sich nicht nehmen mich in den Polizeiwagen zum Busbahnhof zu setzen. „Eine gute Reise.“ winkt er mir. Normale Polizeiarbeit ist dies nicht. Die Beamten müssten mich wesentlich weniger betreuen, als sie es getan haben. „Du hast Glück, momentan ist wenig los.“ grinst Hernandez. Sicher werde ich am Busbahnhof abgesetzt und steige voll Zufriedenheit in den Bus nach Flores. Ich bin froh, dass es solche Menschen gibt. Ich möchte selbst so einer sein. Mit einem guten Gefühl schlafe ich ein.


Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s