Ohne Geld kann niemand Reisen

Am Geldautomat in der Bank steht verloren ein junges Pärchen. Sie sehen mich an, als ich eintrete. „Hier gibt’s kein Geld.“ informieren sie mich. Hoffnungsvoll schiebe ich meine VISA in den Automaten, sie behalten Recht. Geld abheben nicht möglich, lese ich auf dem Display. Mit der Mastercard habe ich Erfolg. Erleichtert stecke ich das Geld ein. In Punta Gorda gibt es lediglich zwei Banken mit Geldautomaten, einer davon ist nur für Einheimische nutzbar. Ich hätte womöglich zurück nach Dangriga oder sogar Belmopan fahren müssen, um Geld abzuheben.Die Busfahrt hätte mehrere Stunden Zeit vergeudet, einen ganzen Tag hätte ich dabei verloren.

Die beiden Geldlosen stehen mir gegenüber und sehen mich verzweifelt an. „Kannst Du uns was leihen? Wir können sonst die Ausreisesteuer aus Belize nicht bezahlen.“ Ihr bittender Tonfall unterstreicht die ausweglose Lage. Ich zögere, der Blick der beiden hängt an meinem Gesicht. „Wir überweisen es Dir.“ versichern sie mir nachdrücklich. Die momentane Erfahrung der beiden hatte ich selbst schon zweimal gemacht. Im Gebirge in Bulgarien, sowie im Seengebiet in Chile saß ich in wunderschöner Landschaft und meine Kreditkarte ließ mich beide Male im Stich. Die faszinierende Umgebung empfand ich in diesem Moment nur noch als einsames Nirgendwo ohne funktionierende Infrastruktur. Der Abflughafen der Heimreise noch tausende Kilometer entfernt und meine finanziellen Möglichkeiten schon erschöpft, obwohl ich mein Ziel noch nicht annähernd erreicht hatte. Eine unangenehme Erfahrung, in einem fremden Land ohne Kontakte oder Geld. „Wieviel braucht ihr?“ frage ich. Sie nennen eine Summe und nehmen mir dankbar und erleichtert die Scheine aus der Hand. Innerlich packt mich eine überschäumende Freude, dass ich helfen kann. Zu lebhaft sind mir die eigenen Erinnerungen an ähnliche Situationen.

Durch die Verzögerung ist der Bus zu den Mayadörfern im Toledo District bereits weg. Der nächste Bus startet erst um 11h, ich versuche mit einem Taxifahrer zu verhandeln. Die Preise erscheinen mir unangemessen hoch, umgerechnet 25 Euro für eine Fahrt von 30 Minuten. Dann lerne ich Armando kennen, er bietet Transfers und auch Touren rund um Punta Gorda an. Er signalisiert dem Taxi vor mir, dass er sich um mich kümmern wird. Armando bietet mir eine Rundfahrt durch die traditionellen Mayadörfer des Toledo Districts mit Zwischenstop an einem kleinen Wasserfall an für 200 B$. „Der Preis beinhaltet 3 Stunden Fahrt und zum Abschluss essen wir in einem der Restaurants dort.“ erklärt er mir. Ich willige ein, mehr habe ich auch nicht einstecken. Der Betrag ist hoch, aber die Dörfer sind ohne Auto wahnsinnig schwer zu erreichen, ich bin auf einen Fahrer angewiesen.

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„Ein großer Wasserfall liegt auch auf unserer Route, der Eintritt zum Gelände kostet allerdings 50 B$. Du kannst mir das Geld geben, wenn wir zurück in Punta Gorda sind, ich lege es vor.“ schlägt mein Tourguide vor. Mir kommt die Summe wieder etwas hoch angesetzt vor, den Vorschlag nehme ich dennoch an. Ich sehe den Eintrittspreis ja vor Ort. Wir fahren los, zu beiden Seiten der Strasse zeigt sich das üppige Grün des Urwalds, dazwischen Palmen und Bananenstauden. Ich bin überrascht, als der dichte Baumbestand plötzlich abreißt und den Platz für große Maisfelder freigibt, die sich an den Hängen entlangziehen. Vereinzelt arbeiten Mayabauern auf Ihren Feldern. Dazwischen liegen ihre kleinen Dörfer mit Hütten aus Holz und Palmdächern. Wegen der Hurrikangefahr gibt es vermehrt auch stabile Steinhäuser. Wir fahren über eine Brücke, im Fluss darunter waschen Mayafrauen eifrig ihre Wäsche. Nicht in allen Dörfern gibt es Strom oder fließendes Wasser. Die Einfachheit des Lebensstils hier finde ich faszinierend, wie eine vergesene Welt.

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Armando hält am Rio Blanco Nationalpark, der mitten im Dschungel liegt. Zum Eintritt zahlt er 5 B$, das erkenne ich genau, auch wenn er den Schein mit der Hand verdeckt. Jede Geldnote in Belize hat eine andere Farbe und 5B$ Zutrittsgebühr stehen auch auf einem Schild am Eingang des Parks. Also doch nicht 50, denke ich bei mir, sage aber nichts, wir müssen ja noch gemeinsam zurück nach Punta Gorda fahren. Wenig später stehe ich bis zu den Knien im glasklaren Wasser über dem Wasserfall. Die Strömung ist recht stark, ich fühle mich wackelig auf den Beinen und stackse schwerfällig durch das Wasser. Direkt unter mir ergießt sich die tosende Wassermasse in einen kleinen See. Sie wird kontinuierlich durch Zuflüsse aus kleineren Wasserfällen in meinen Rücken verstärkt. Armando macht Fotos, wie ich auf den Steinen hin und her rutsche. In einem Restaurant in Silver Creek essen wir später zu Abend, das Buffet dort ist unheimlich lecker. Dutzende von Kolibris fliegen im Garten um eine kleine Tränke. Ich beobachte ihre schnellen, ruckartigen Bewegungen während ich esse, die kleinen Vögel sind kaum zu verfolgen. Unglaublich wie winzig sie sind, der Schnabel misst fast so lange wie der restliche Körper.

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Auf dem Rückweg erzählt Armando mir seine komplette Lebensgeschichte. Er ist Vater von 5 Kindern, mit seiner Frau ist er elf Jahre liiert und nochmal genauso lange verheiratet. Jetzt will sie ihn verlassen, weil sie höhere Ansprüche hat, er verdient ihr zu wenig. „Jeder hat doch ein Budget mit dem er auskommen muss oder?“ in Erwartung meiner Zustimmung sieht er mich an. „Ich habe ihr erklärt, dass nicht mehr Geld zu machen ist. Wenn sie gehen will soll sie, dann kann sie aber auch wegbleiben, ich nehme sie auf keinen Fall zurück. In den letzten 22 Jahren hat sie vielleicht 5 Jahre gearbeitet, die restliche Zeit habe ich sie versorgt. Die Frauen in Belize sind so, sie verlassen dich und dann wollen sie wieder zurück.“ empört macht er seinem Ärger Luft und untermalt  das Ganze zum Schluss mit ‚Fuck it.‘ als wäre dadurch alles gesagt. ‚Ob ich ihn mitnehmen möchte?‘ fragt er dann grinsend. Nee, sicher nicht. Schnell schlucke ich jeglichen ablehnenden Kommentar herunter. „Die Religion ist in Belize total wichtig oder?“ wechsle ich das Thema. „Ja, es gibt drei wichtige Dinge im Leben für die Menschen hier.“ erklärt mir Armando „der Glaube, die Familie und die richtige Partei, die deine Interessen unterstützt.“

In Punta Gorda hebe ich das Geld für meine Tour ab und bezahle Armando mit einem Bündel zusammengerollter Geldscheine. Die erfundenen 50 B$ für den Eintritt zum Wasserfall ziehe ich ab, übers Ohr gehauen werde ich nicht gerne. Mein Reiseführer steckt das Geld ein ohne nachzuzählen und setzt mich am Fährterminal ab. Wenig später steht er wieder in der Tür, um den fehlenden Betrag zu fordern. Ich bleibe bei den 200 B$, an seinem finster verzogenen Gesicht sehe ich ihm die Verärgerung spürbar an. Ich konfrontiere ihn mit dem falschen Eintrittspreis zum Nationalpark. „Die 5 B$ waren doch nur das Trinkgeld für die Männer am Eingang zum Wasserfall, mit dem Eintrittspreis hatte das nichts zu tun.“ erklärt er sichtlich verwirrt, dass seine Geschichte in Frage gestellt wird. Ich glaube ihm nicht und irgendwann gibt er auf und geht.

Ich kaufe mein Fährticket nach Guatemala und gehe zum Pier. Die Ausreisesteuer beträgt 40 B$, damit habe ich überhaupt nicht gerechnet. Ich kratze alles Kleingeld zusammen, mir fehlen 4$. Ich muss nochmal zur Bank um Geld zu wechseln. Obwohl ich eigentlich genug Zeit habe, renne ich durch die Strassen von Punta Gorda. Für meine letzten 5 Euro erhalte ich abzüglich der Umtauschgebühr bei der Bank 5$. Das reicht um auszureisen, entspannt laufe ich jetzt zurück zur Fähre und zahle die Gebühr. Auf dem Boot treffe ich Katie aus Australien und Juljana aus Kanada, beide setzen auch nach Guatemala über. In Livingston suchen wir gemeinsam ein Hostel. Wir finden eins mit direkten Blick auf den Golf von Honduras, ein schmaler Steg führt hinaus ins Meer.

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Die Zimmer sind schön luftig und gemütlich. Ich werfe meinen Koffer vor mein Bett und stürze mich in das bunte Treiben von Livingston. Entlang der Hauptstrasse verkaufen Frauen selbstgewebte Taschen und Beutel, als auch Schmuck und Muscheln. An einem Stand werden neben selbstgemachten Rasseln auch leere Schildkrötenpanzer angeboten. Ich bin fassungslos angesichts dieser Tierquälerei und enttäuscht, dass auch in Guatemala Tieren so wenig Respekt entgegengebracht wird. Die Panzer sind fester Bestandteil der Garifunabands und werden als Trommeln genutzt.

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Zurück im Hostel spüre ich die nicht vorhandene Infrastruktur des Landes an meinen eigenen Bedürfnissen. Ich schlendere zur Dusche und drehe den Hahn auf, nichts passiert. Ratlos beäuge ich den Duschkopf, nicht ein einziger Tropfen Wasser löst sich. Auch in der gegenüberliegenden Dusche nicht, oder in der nebenan. Bereitwillig lässt mich Juljana an ihren Kenntnissen über Guatemala teilhaben, sie hat hier schon öfter Freiwilligenarbeit geleistet. „Die Menschen hier sind sehr arm, die Infrastruktur total schlecht. Warmes fließendes Wasser gibt es in dieser Region nirgends. Ist der Wasserspeicher aufgebraucht, ist kein Duschen mehr möglich. Es ist Nachmittag, wahrscheinlich ist der Wasservorrat leer. Da drüben ist noch eine Dusche, sonst gibt es erst Morgen wieder Wasser.“ Ich haste in die gezeigte Richtung ehe mir noch jemand zuvor kommt und habe Glück. Ein Wasserstrahl von etwa 1cm Breite schlängelt sich aus dem Hahn, das Tröpfeln reicht gerade so zum Einseifen und Abduschen. Die Prozedur dauert ziemlich lange, für die Haare reicht es nicht, die sind dann Morgen dran.


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