In Belize regnet es immer nur kurz, dafür aber umso heftiger. Das erfahre auch ich auf dem Weg zum Busbahnhof, ich will weiter in den Süden nach Hopkins. Innerhalb von Sekunden reißt der Himmel auf und es schüttet wie aus Kübeln. Ich reagiere sofort und sprinte los, um mich unterzustellen, habe aber gegen die Regenmassen keine Chance. Ich bin völlig durchnässt. Die Haut an meinen Fingerkuppen ist weiß und wellt sich, als wäre ich gerade der Badewanne entstiegen.
Seit einigen Häuserblocks folgt mir ein streunender, herrenloser Hund, der sich ebenfalls unter ein Dach gerettet hat. Sein Fell ist schmutzig. Er hinkt auf einer Pfote und blickt mich hungrig mit herzerweichendem, flehendem Blick an. Am liebsten würde ich ihn mitnehmen, so ein niedliches Gesicht macht er. Der kleine Schauspieler weiß aber auch genau, wie er zu gucken hat. „Ich hab leider nichts für Dich.“ sage ich laut. „ich finde hier noch nicht mal gescheiten Kaffee.“ Im Norden von Belize und auf den Cayes war das durch den Tourismus kein Problem. Die Garifuna hier im Süden kennen nur den angerührten Pulverkaffee, etwas anderes gibt es nicht. Das weiß wohl auch der Hund, irgendwann gibt er auf und verschwindet.
In Hopkins angekommen steige ich an einer Straßenkreuzung des Fischerdorfes aus, eine Busstation gibt es nicht. Unmittelbar hinter mir beginnt der Strand. Ein Holzschild begrüßt mich ‚Willkommen in Hopkins, Du bist im Paradies.‘ Hopkins ist recht überschaubar, Infrastruktur gibt es nicht viel. In der Hoffnung hier einen richtigen Kaffee zu finden, nicht nur diese angerührte Brühe, schaue ich mich planlos um. Meine verloren wirkende Gestalt verleitet eine Gruppe junger Männer mich anzusprechen: „Was suchst Du?“ fragen sie hilfsbereit. „Gibt es hier eine Möglichkeit meinen Koffer abzustellen, ich weiß noch nicht ob ich bleibe?“ ich schaue mich suchend um. Ohne Busbahnhof gibt es auch keine Schließfächer, das ist klar. „Gib ihn einfach mir, ich verwahre ihn für Dich.“ schlägt einer der Gruppe vor. Etwas zögerlich gebe ich meinen Koffer aus der Hand. Dieser landet hinter der Theke des Restaurants, in dem die Männergruppe sitzt und verschwindet aus meinem Sichtfeld. ‚Ok, probieren wir es einfach mal.‘ rede ich mir gut zu. Das Wichtigste habe ich ja bei mir in meiner Tasche, den Rest gibt es überall auf der Welt zu kaufen.
Mein Urvertrauen ist ziemlich ausgeprägt und stabil. Die Männer im Restaurant unterhalten sich schon wieder angeregt untereinander. So lasse ich dann auch meinen Koffer zurück und spaziere von jeglichem Ballast befreit am menschenleeren Strand entlang. Kleine Vögel hüpfen wie in Tulum über den Sand und hinterlassen ihre Spuren neben meinen. Ein einsames Boot entschwindet gleichmäßig auf dem türkisblauen Wasser treibend zum Horizont. Das Wasser ist von einer erfrischenden Klarheit und die Palmen, die nah am Wasser stehen, spenden angenehmen und erholsamen Schatten. Die Luftfeuchtigkeit in Hopkins ist sehr hoch, regnet es nicht, wird es schnell schwül.
In dieser Idylle kann man nur faulenzend am Strand liegen, Essen und Trinken, denke ich. Da ich vor kurzem auf den Inseln der Cayes war, ist mein Bedarf an diesen Tätigkeiten derzeit gedeckt, ich suche mehr Aktivitäten und Beschäftigung. Mein Rundgang führt mich zu Thongs Kaffee. Dankbar lasse ich mich nieder und genieße wunderbaren Kaffee und die vielen Vogelstimmen, die aus den Palmen am Strand herüber wehen. Bis der nächste Bus kommt setze ich mich an den Strand und lasse in einer Hängematte die Beine baumeln. Später ist mein Koffer natürlich noch da, ich hole ihn im Restaurant ab und laufe zum Bus nach Punta Gorda.
Belize hat ein gravierendes Müllproblem, gerade in einem Paradies wie Hopkins wird dies deutlich. Während man den schönsten Palmenstrand fotografiert steht man womöglich auf einem Berg aus Plastikflaschen, -besteck und Pappbechern. Jeder lässt den Müll fallen, wo er gerade steht. Beim Anblick des feinen, sonnengelben Strandabschnitts, der sich am gesamten Fischerdorf entlang zieht, kann ich darüber nur den Kopf schütteln. Nur die Abschnitte vor den Hotels werden selbstverständlich gesäubert, vor den Budgetunterkünften bleibt der Müll liegen. Die Regierung hat das Problem erkannt. In jedem Bus habe ich bisher ein Schild entdeckt, mit dem Aufruf, eigenen Müll nicht liegen zu lassen und zu entsorgen. ‚Without litter Belize will glitter.‘ Viel gebracht hat diese Kampagne noch nicht, aber vielleicht braucht das Umdenken noch Zeit.
Schließlich sitze ich im Bus, vor mir ein kleines Mädchen. Ihre Zöpfe sind über den ganzen Kopf verteilt. Bei näherem Hinsehen erkenne ich den Schriftzug auf den bunten Haarspangen ‚I Love Jesus.‘ Kein Wunder in Belize, die Religion ist hier der zentrale Aspekt des Alltags. Der Glaube an Gott steht hinter jeder Aktivität. An öffentlichen Plätzen sind Plastikschilder mit religiösen Sprüchen angebracht, um auch im öffentlichen Leben an die Gegenwart Gottes zu erinnern. ‚Jesus sagt: Ich bin der Weg , die Wahrheit und das Leben.‘ oder ‚Die an Jesus glauben werden gerettet werden.‘ Mitten im Nirgendwo sehe ich aus dem Busfenster an einer Scheune ein Schild mit den zehn Geboten.
Seit Hopkins bin ich die einzige Weiße im Bus. Die meisten Reisenden lassen den Süden Belizes völlig außer Acht. Beim Blick aus dem Fenster wundere ich mich. Die ständigen Regenschauer machen diesen Teil des Landes zu einer unendlich fruchtbaren Region. Der Regenwald zu beiden Seiten der Strasse leuchtet in allen denkbaren Grünvariationen. Die wärmende Nachmittagssonne lässt die Grüntöne intensiver erscheinen. Vom Hellgrün der ganz jungen Blätter, dem kräftigen Grün der Bananenstauden, bis zum gelblichen Grün der Palmblätter, die etwas zu viel Sonne abbekommen haben. Ich sauge die Farbeindrücke auf wie ein Schwamm. Abrupt bricht das Grün ab und gibt den Blick frei auf die Weite des türkisblauen Meeres, dass am Horizont mit dem Hellblau des Himmels zu verschwimmen scheint.
Punta Gorda gefällt mir sofort, die bunten Häuser karibischer Bauweise sind schön anzusehen und sehr gepflegt instand gesetzt. Die gesamte Kleinstadt zieht sich direkt an der Küste entlang, sodass spätestens hinter der nächsten Straßenecke immer das endlose Blau des Atlantiks auf einen wartet. Ich nehme mir ein Einzelzimmer im Natures Way Guesthouse direkt am Ufer. Die Tür meines Zimmers lässt sich nicht richtig von innen schließen. Gehandhabt wird der Vorfall auf belizische Art und Weise. „Stell über Nacht den Stuhl davor, wir lassen die Tür morgen reparieren.“ schlägt mir das Ehepaar, dass das Hostel führt als Option vor. Mit knurrendem Magen gehe ich auf die Suche nach einem guten Abendessen. Mein Weg führt durch die Stadt zum Marktplatz. Hier empfängt mich ein Konzert von mindestens 50 Singvögeln, die sich auf den Elektroleitungen um den Uhrturm von Punta Gorda niedergelassen haben. Die vielen Vogelstimmen formen sich zu einem wunderschönen Lied, ich verlangsame meinen Schritt und lasse mich von dem musikalischen Können berieseln. Es nimmt kein Ende und klingt wirklich grandios. Ich bin der einzige Zuhörer, diese Konzert ist nur für mich.
Gleich neben dem Uhrturm stehe ich vor Marians Restaurant. Zum Abschluss des Tages esse ich das beste BBQ Chicken der ganzen Reise. Während ich das Essen in mich hineinstopfe lächelt die Wirtin mich an. „Das ist so gutes Essen.“ stammle ich verlegen und nehme den nächsten Happen. Beim Bezahlen grinst Marian. „Es hat Dir geschmeckt.“ stellt sie fest. „Das habt ihr doch gesehen.“ gebe ich schmunzelnd zurück, ich fühle mich ertappt. Auf dem Heimweg entlang der Küste erwartet mich erneut ein Konzert. Diesmal zirpen Hunderte von Grillen, die im Gras neben dem Ufer zum Meer sitzen. Ich mag diesen Fleck Erde, denke ich. Vor einem Restaurant bleibe ich stehen und lausche. Das Zirpen der Grillen wird von den Trommeln einer Garifuna-Band überdeckt. Die Musiker sind wahre Künstler in der Ausübung ihrer Musik, der Takt wechselt schnell.
Die Einheimischen stellen die typischen Trommeln oft selbst her, in Belize kann man auch Kurse besuchen, um die Musik zu erlernen. Ich bin am Hostel angekommen, der Rhythmus der Trommeln hallt weiter durch die Nacht. Geprägt von der Kultur und der lebendigen Mentalität der Menschen, die hier leben. Eine Mentalität, die trotz der langen Fremdherrschaft ihren Sinn für die eigenen traditionellen Bräuche und deren Pflege erhalten hat. Ich husche ins Bett und verhake den Stuhl unter der Türklinke. In der Ferne klingeln die Trommeln der Garifuna nach und wiegen mich sanft in den Schlaf.