Macht Armut glücklich?

Wie sagte doch Marcel Reich-Ranicki ‚Geld allein macht nicht glücklich. Aber es ist besser, in einem Taxi zu weinen als in der Straßenbahn.‘ Hier sitze ich nun und grüble über einen Aspekt, der mir seit meiner Südamerikareise im letzten Jahr immer wieder im Kopf herum schwirrt. Warum sind die Menschen in den armen Ländern dieser Welt so glücklich mit dem Wenigen was sie haben? Warum sind Sie dabei so fröhlich und hilfsbereit dieses Wenige sogar noch mit anderen zu teilen? Sind arme Menschen glücklicher als Reiche?

Ich denke das kommt in erster Linie auf die Definition an. Was bedeutet denn eigentlich Glück? In unserer Wertegesellschaft ist das ein ziemlich strapazierter, ausgelutschter Begriff. Glück liegt irgendwo zwischen abbezahltem Eigenheim und individueller Selbstverwirklichung im Job, ohne das dieser zu viel Freizeit frisst.

Macht Geld glücklich? Wer nicht weiß, wie er im nächsten Monat seine Miete bezahlen soll, ruft jetzt laut ‚Ja.‘ Lässt sich Glück wirklich kaufen? Ich denke nein. Wir leben in einer Konsumgesellschaft, die sich hauptsächlich an materiellem Reichtum misst. Dies gleicht einem permanenten Wettrüsten. Es gibt immer noch einen größeren Fernseher, der uns glücklicher machen kann. Oder ein teureres Auto. Wir sprinten dem Zustand hinterher, den wir als Glück definieren und wundern uns diesen niemals einzuholen. Das ist auch gar nicht möglich. Wie soll man Glück jemals erreichen, wenn man immer noch glücklicher werden könnte? Welchen Maßstab kann man zum Erreichen des eigenen Glücks dann verwenden?

Was ist mit emotionalem Reichtum? Für mich sind das Familie, gute Freunde, ein vertrauter Umgang. Menschen, die mich akzeptieren, wie ich bin, ohne mich verstellen zu müssen. Dazu gehören auch schöne Erlebnisse, die zu schönen Erinnerungen werden. Oder wertvolle Erfahrungen, die mich ein Leben lang begleiten. Um dies wahrzunehmen, muss ich nicht steinreich sein. Dieses Glück lässt sich nicht kaufen.

Auch wenn wir anderen Menschen helfen, empfinden wir Glück. Es sind die kleinen Dinge des Alltags, die uns glücklich machen. Wenn wir etwas sinnvolles tun, das uns erfüllt. Dann sind wir mit Leidenschaft bei der Sache, das macht uns froh. Ebenso bedeutet Glück auch, die Polarität des Lebens auszugleichen. Niemand lebt wie im Bilderbuch, auch die kleinen und großen Probleme des Lebens gehören zum glücklich sein dazu.

Was ist also Glück? Ich denke, Glück ist der Grad, in dem ein Mensch mit seinem Leben insgesamt zufrieden ist. Glück bezeichnet das Maß, in dem man das eigene Leben mag. Diese Situation ist eine individuelle Einstellungssache.

Die älteste Glücksstudie (Harvard Universität, http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/39739/Der-weite-Weg-zum-Glueck) begann 1937 und läuft immer noch. Diese zeigt, Glück basiert auf der Qualität unserer zwischenmenschlichen Beziehungen. Geteiltes Leid ist halbes Leid, aber geteiltes Glück ist auch doppelte Freude.

Was machen die Menschen in Zentral- oder Südamerika also anders als wir? Betrachten wir die Lebensumstände lebt der Hauptteil der Bevölkerung in weit ärmeren und auch gefährlicheren Umständen betreffend den Alltag. Warum sind die Menschen dennoch so fröhlich? Sie machen mehr aus dem was sie haben und das Beste aus ihrer Lage. Sie sind viel genügsamer, Neid spielt dort keine so große Rolle. Was man selbst nicht hat und die Nachbarn auch nicht, warum soll einen das kümmern? Was man nicht kennt, kann man auch nicht vermissen.

Ich erkläre mir dies anhand diverser Faktoren: Mit viel Geld oder dem Konsum von Luxusgütern hat Glück nichts zu tun. Eher damit, dass man diese nicht kennt. Glücklich sein ist nicht an materielle Dinge gekoppelt. Die Menschen in Zentral- und Südamerika sind mit dem zufrieden, was sie haben. Sie freuen sich, wenn ihre Grundbedürfnisse gedeckt sind. Ihr Anspruch ist überschaubar und sie vergleichen ihren Besitz nicht mit anderen. Sie sind mit dem zufrieden was sie haben ohne Neid zu empfinden. Die Bevölkerung ist hilfsbereit, zum Überleben ist auch jeder auf die Hilfe des anderen angewiesen. Familie ist der zentrale Punkt des Alltags und sorgt füreinander. Nicht der ist reich, der das meiste hat, sondern der das wenigste braucht. Unsere Konsumgesellschaft im Gegensatz ist sehr anspruchsvoll. Was unseren Lebensstandard betrifft sind wir daher viel schneller unzufrieden.

So verrückt es für uns klingt, auch der Glaube erfüllt seinen Teil. Hunderte von Schutzpatronen geben Rückhalt für jede Situation des Lebens, selbst Kriminellen. Gibt es mal keinen kirchlichen Beschützer, wird kurzerhand einer erfunden. Tod und Sterben sind nahezu ein Tabu in unserer westlichen Welt, nicht so in Zentralamerika. Dieser unausweichliche Teil des Lebenskreislaufs wird nicht totgeschwiegen, sondern einfach in den Alltag integriert. Am Dia de los Muertos trifft man sich mit voll gefülltem Picknickkorb am Grab der Angehörigen. Man isst, trinkt, musiziert und tanzt zusammen. Dieser witzige Umgang mit dem Tod verdeutlicht die Mentalität der Menschen, das Leben in all seinen Facetten nicht zu ernst zu nehmen. Diese Kultur hat eine generelle Positivität, die schon in die Wiege gelegt wird. Eine genetische Disposition? Wer weiß.

Glück hat also nichts mit materiellem Besitz, sondern mit innerer Einstellung zu tun? Wissenschaftlich ist dies kaum zu beweisen und wird auch nicht erforscht. Dennoch gibt es einen jährlichen internationalen Tag des Glücks am 20. März. Das Streben nach Glück und Wohlbefinden ist ein grundlegendes menschliches Ziel und musste deshalb auch in den Zielsetzungen der Politik berücksichtigt werden. Zumindest hieß es 2012 so in einer entsprechenden UN-Resolution.

Und dann ist da auch noch das schöne Wetter in Zentral- und Südamerika. Warme Temperaturen, viel Sonne und viel Licht sind gut fürs Gemüt. Man fühlt sich aktiver und ausgeglichener. Mit vermehrter Sonneneinstrahlung schüttet der Körper viel mehr Endorphine aus. Dazu gehört beispielsweise Serotonin. Dieser Botenstoff sorgt für allgemeines Wohlbefinden und gute Stimmung. Depressionen und negative Gedanken haben keine Chance. Ebenso bildet der Körper mit Hilfe des Sonnenlichts Vitamin D, welches das Immunsystem stärkt. Bei schönem Wetter ist man automatisch besser gelaunt. Schon deshalb weil Winterjacke und dicke Kleidung im Schrank bleiben.

Glück überträgt sich von uns auch auf andere. Wer glückliche Menschen in seinem Umfeld hat, wird ganz sicher angesteckt. Was ist also das wirklich wichtige? Zunächst eine gewisse Zufriedenheit mit dem, was man hat. Und daneben? Ich glaube Zeit. Minuten und Stunden, die wir anderen schenken. Zeit, in der wir schöne Erlebnisse schaffen, die uns als Erinnerungen begleiten. Wertvolle Momente, die wichtiger sind als ein teures Auto oder der nächste Flatscreen. Einfach Zeit.

Und die billigste Art, sein Aussehen zu verbessern, ist ein Lächeln zu tragen…


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