Die Ballspiele der Maya

Von einem Geräusch werde ich aus dem Schlaf gerissen, blinzelnd mache ich die Augen auf und geblendet von grellem Licht gleich wieder zu. Ich schiele auf mein Handy, 2:30h. Am Bett vor mir steht ein asiatisches Mädchen, das gerade seinen Koffer neu ordnet. Vielleicht ist sie gerade angekommen. „Dir ist schon klar, dass es mitten in der Nacht ist. Bei der Beleuchtung kann doch niemand schlafen“ rufe ich ihr zu. Sie reagiert nicht, blickt nur kurz auf und ignoriert mich dann.

Das ist vielleicht der Karmaausgleich, weil ich das Licht im Zimmer mit dem Schnarcher in Mexiko City einfach angelassen habe. Es rächt sich ja alles irgendwann, nur so schnell hätte ich nicht erwartet.

Schwerfällig schiebe ich mich aus dem Bett, schlurfe zum Lichtschalter und knipse das Licht aus. Die Asiatin schaltet es sofort wieder an. Sei es drum, denke ich bei mir und bin wieder auf dem Weg zum Lichtschalter. Das können wir die ganze Nacht so machen, an Schlaf ist jedenfalls nicht zu denken. Diesmal bleibt das Licht aus.

Beim Frühstück sitze ich einem Kanadier gegenüber. „Kann ich mal sehen?“ fragt er auf Englisch und deutet auf meinen Reiseführer. „Klar, ist aber in deutsch“ich reiche ihm das Buch. „Das kann ich zufällig.“ grinst er. Er wohnt in Berlin ist aber eigentlich aus Toronto. Bis vor ein paar Jahren war er Grafiker, sein Geschäft lief sehr gut, aber er hat seinen Sohn kaum aufwachsen sehen. Der Beruf war ihm zu stressig. Er arbeitet jetzt 3 Tage die Woche als Krankenpfleger, 30 Stunden. Das Geld reicht für ihn, er verbringt viel Zeit mit seinem Sohn und mit Menschen arbeitet er auch gern.

Ich frage nach seiner Frau, die er bisher nicht erwähnt hat. „Ex.“ er gibt bereitwillig Auskunft „wir haben uns auf Reisen in Israel kennen gelernt und ich bin mit ihr nach Deutschland gekommen.“ Passt auf jeden Fall zu meiner Theorie, eine Beziehung zwischen zwei Kulturen hätte mehr Bestand, wenn sie in einem Land geführt wird, in dem beide Partner fremd sind.

Ich denke zurück an Max, der auf dem Hinflug neben mir saß und seine Freundin in San Antonio besucht. Ist es überhaupt möglich, dass zwei Menschen aus verschiedenen Kulturen bis ins hohe Alter zusammen bleiben? Ist ja auch ohne Sprachbarriere schwer genug. Verlieben geht ganz leicht und funktioniert überall auf der Welt. Wenn man viel Zeit miteinander verbringt und das Verliebt sein langsam schwindet, merkt man wie unterschiedlich die Prägung durch die Erziehung ist. Man setzt andere Prioritäten im Leben, hat vielleicht ein unterschiedliches Hygieneverständnis, gegensätzliche Ansichten, die von der eigenen Kultur und vom Aufwachsen geprägt sind. Ein hohes Mass an Toleranz und Kommunikation werden abverlangt, damit die Partner sich verstehen können. Natürlich braucht es das aber in jeder Beziehung und klappen kann es trotzdem, oder?

Kanadier und Sohn wollen wieder nach Kanada zurück, der Junge muss nur noch seinen Abschluss machen. Derzeit versucht er für seinen Sohn ein Praktikum in Vancouver zu organisieren. „Dann ist er schon vor mir zurück in Kanada.“ freut er sich. Seiner Ex ist es recht, solange der Sohn zufrieden ist. Kanada ist ein sicheres Land, aber es ist auch nicht perfekt.

„Es ist nicht so wie in den Filmen von Michael Moore.“ erklärt er mir. „überfallen werden kannst Du dort auch. Der Dich überfallen hat, entschuldigt sich aber wahrscheinlich danach und Du sagst ‚Hey, kein Problem.‘ Dann gibst Du ihm eins auf die Nuss und entschuldigst Dich danach und der Dieb meint ‚Keine Ursache.’So ist Kanada.“ sagt er augenzwinkernd. Schmunzelnd verabschiede ich mich, ich fahre heute mit dem Bus nach Chitchen Itza.

Am Bahnhof angekommen finde ich sofort den Ticketschalter. Ich bin immer noch viel zu schnell für dieses Land, das Warten fällt mir schwer, die Schlange bis zum Ticketkauf bewegt sich quälend langsam.Die Entdeckung der Langsamkeit, das tut auf lange Sicht auf jeden Fall gut, auch wenn es schwer fällt.

Während der Fahrt mustert mich ein älterer Herr, Gabriel stellt er sich vor. Er nimmt neben mir Platz, sein Deutsch ist sehr gut verständlich. Gabriel fährt jeden Tag von Merida nach Chitchen Itza, um dort als Reiseführer zu arbeiten, jeden Abend dann wieder zurück. „Das sind doch drei Stunden?“ ungläubig sehe ich ihn an. „Ja eine lange Fahrt.“ stimmt er mir zu. Er hat in Merida Geschichte studiert und verdient nun als Fremdenführer sein Geld. Während der Fahrt informiert er mich über die Bräuche der Maya. In dem kleinen Dorf Chitchen Itza, durch das wir gerade fahren, leben die Nachfahren dieser einst so mächtigen Kultur auf traditionelle Weise. Die religiösen Bräuche werden nicht am Leben gehalten, wohl aber die Sprache.

Ich engagiere Gabriel kurzerhand als Führer durch die Mayastätte, die sich an das Dorf anschließt. Eine gute Entscheidung, Gabriel zeigt mir vieles, was ich als Tourist gar nicht wahrgenommen hätte. Wir betreten die Stätte gemeinsam und stehen auf einem großen Platz, vor uns eine riesige Pyramide.

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„Das ist die Pyramide des Jaguar, die Maya glaubten die Sonne würde sich nachts in einen Jaguar verwandeln, um durch die Unterwelt zu streifen.“ legt Gabriel los „Tagsüber hat die Sonne menschliche Gestalt. In dieser Pyramide befindet sich eine weitere, darin steht ein Jaguarthron.“ Er zeigt mir die passenden Bilder dazu in einem kleinen Buch.

Gabriel lenkt mein Interesse auf die Treppe zur Pyramide. „Sehen Sie dort an den Seiten der Treppe die eingearbeitet Schlange, sie versinnbildlicht Kukulcan, den Gott des Windes? Mit dem richtigen Stand der Sonne am 21. März sowie 21. Oktober kann man durch ein Spiel der Schatten sehen, wie die Schlange sich an der Trepe entlang bewegt. Nur an diesen beiden Tagen.“ Die Maya waren fantastische Architekten. Die Bauelemente haben sie zu Fuss herbeigeschafft. Sie kannten zwar das Rad, der Kreis ist aber das heilige Symbol für die Sonne, es durfte daher nicht genutzt werden.

„Eigentlich ist die Schlange ein Symbol der Tolteken, die Chitchen Itza eroberten und Ihre Kultur mit einfließen ließen. “ fährt Gabriel fort. Er führt mich zum Platz der 1000 Säulen, dem vermeintlichen Marktplatz der Maya. Daneben steht der Kriegertempel, auf jeder Säule ist ein Kämpfer mit prächtigem Haarschmuck abgebildet. Ihr Kopfschmuck besteht aus den Federn des Quetzal, den die Tolteken als Gottheit verehrten. Vor der großen Pyramide klatscht Gabriel mehrmals in die Hände und es ist ganz deutlich der Ruf des Quetzal zu vernehmen. Ebenfalls ein Highlight in der Bauweise der Maya.

Am Cenote Sagrada, einem Tümpel mit moosgrün schimmerndem Wasser halten wir an. „Für die Maya waren die Cenote die Verbindung zur Unterwelt, eine Brücke zwischen den Welten der Lebenden und der Toten. Aus dem Cenote wurde nicht getrunken, hier fanden nur Opferungen statt. Wenn es längere Zeit nicht regnete wurden Menschenopfer mit Alkohol betäubt und mit der Bitte um Regen hineingeworfen. Ein Geschenk für den Regengott, die Farbe grün steht für ihn, wie das grünlich schimmernde Wasser.“ erzählt mir mein Reiseführer eifrig. „Warum den grün.“ frage ich ahnungslos „Regen wäre doch eher blau oder?“ „Regen macht alles grün und fruchtbar.“ belehrt er mich, das leuchtet mir ein.

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Nach einem kurzen Fußmarsch sind wir am Ballspielplatz. Gabriel erläutert mir die Regeln des Spiels „Zwei Mannschaften mit jeweils 7 Spielern traten gegeneinander an, meistens Kriegsgefangene. Hände und Füße durften den zwei Kilo schweren Ball nicht berühren, gespielt wurde nur mit Knie und Ellenbogen.“ Autsch! Das klingt unangenehm. „Und was bekamen die Sieger?“ will ich wissen. Die Gewinner erhielten ihre Freiheit, die Verlierer wurden geopfert. Gabriels Erläuterungen spiegeln die Szenerie auf den Mauern des Ballspielplatzes wieder. Ganz deutlich sieht man auf den Steinen die Opferung der Verlierer, aus den abgehackten Köpfen sprudelt das Blut. Der Blustrom ergießt sich in Richtung des Schlangengottes Kukulcan, der mit offenen Maul darauf zuschlängelt. Kurz darauf stehen wir wieder vor der großen Pyramide, dem Startpunkt unseres Rundgangs. Ich bedanke mich, wirklich sehr interessant.

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Wenig später sitze ich im Bus nach Tulum. Obwohl die Fahrt nur 2,5h dauert, muss ich meine Uhr umstellen. In Tulum ist es eine Stunde später als in Chitchen Itza.

Meine Erwartungen an Tulum als Highlight in Yucatan werden bei meiner Ankunft herbe enttäuscht. Mein Hostel platzt aus allen Nähten mit aufgebretzelten Jugendlichen, es geht zu wie auf dem Jahrmarkt. Natürlich ist heute Sylvester, aber das alle total herausgeputzt und aufgetakelt herumrennen habe ich nicht erwartet. So muss es in den USA beim Spring Break zugehen. Die Atmosphäre ist sicher ähnlich.

„Habt ihr noch ein Zimmer?“ frage ich an der Rezeption einen überfordert aussehenden Mitarbeiter. „Ein Bett genügt auch.“ füge ich mit einem Seitenblick auf die belagernde Menschenmasse hinzu. „Wir haben beides.“ erhalte ich als Antwort. „ein Einzelzimmer kostet 2000 Pesos, ein Bett 500.“ 100 Euro für ein Einzelzimmer, wow. Dann nur ein Bett im Dorm.

Ich bin mit mehreren Mexikanern auf dem Zimmer, die gerade auf dem Sprung sind, als ich eintrete.“Wir gehen heute auf eine Riesenparty direkt am Strand.“ informieren sie mich. Also doch Spring Break. Das kleine Städtchen Tulum ist einer Touristenhochburg gewichen. Die Party am Strand reizt mich nicht und nachdem die Feierwütigen das Hostel verlassen haben, genieße ich die plötzliche Stille und begrüße das neue Jahr auf allein auf dem Balkon.


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