Ich kneife die Augen zusammen und trete spontan auf die Bremse. Die Straße vor mir führt an einem Parkstück entlang. Ein geschlossenes Tor aus Schmiedeeisen gibt den Blick auf blattlose Baumgerippe frei. Dahinter muss sich die ausgiebige, weitläufige Wasserfläche des Starnberger Sees erstrecken. Spontan werfe ich einen Blick auf den einsamen Wegabschnitt hinter mir. Es ist kein weiteres Fahrzeug zu sehen. Ich lege den Rückwärtsgang ein und die Fahrt auf dem gleichen Straßenabschnitt beginnt von vorn. Dann sehe ich den Hinweis. Ein zierlicher Plastikpfeil zeigt den Weg zum Todesort von Ludwig II.. Vor etwa 130 Jahren ertrank der bayrische Thronfolger bei Berg im Starnberger See. Der Sand auf dem überschaubare Pfad zum Todesort knirscht unter meinen Schuhen. Grau und bewölkt spiegelt sich der Himmel in den großen Pfützen auf dem Boden.
Der Märchenkönig Ludwig wurde im Juni 1886 durch ein äußerst zweifelhaftes ärztliches Gutachten entmündigt. Man bescheinigt ihm paranoide Schizophrenie ohne ihn dafür untersucht zu haben. Heutzutage wäre dieses Dokument völlig unglaubwürdig. Der entmachtete Thronfolger wurde daraufhin am 12. Juni nach Schloss Berg am Starnberger See gebracht. Er stand den gesamten Tag unter ständiger Beobachtung. Das kleine Königsschloss hatte man in eine Privatirrenanstalt umgewandelt. Seinen Psychater Dr. Gudden brachte man gemeinsam mit seinem Schützling ebenfalls im Palastkomplex unter. Am 13. Juni unternahm der Patient mit seinem Psychologen einen Spaziergang am Wasser. Dr. Gudden und er wurden etwa um Mitternacht leblos im See treibend gefunden. Der Fischer Lidl, Assistenzarzt Dr. Müller und Schloßverwalter Huber fanden beide Leichen nachdem sie sich in einem Ruderboot auf die Suche begeben hatten
Die Version, Ludwig hätte durch Ertränken Selbstmord begangen, ist absolut haltlos. Man fand den 1,90 m großen Mann, der ein exzellenter Schwimmer war, im kniehohen Wasser. Die Leichen trieben maximal 25 Schritte entfernt vom Ufer. Ludwigs Taschenuhr war um 18:54 Uhr stehen geblieben, die Uhr des Arztes erst um 20:10 Uhr. Dies wurde damals bei der Klärung der mysteriösen Todesumstände völlig außer Acht gelassen werden. Nach der offiziellen Darstellung habe von Gudden den Regenten an einem Suizid hindern wollen und sei dabei selbst zu Tode gekommen. Oder es wurde alternativ vermutet, dass der aufgebrachte König seinen Arzt getötet und anschließend sich selbst umgebracht hat. Laut dieser Version wollte Ludwig den Spaziergang nutzen, um im See Selbstmord zu begehen. Sein Psychiater wollte ihn daran hindern. Es kam zum Handgemenge, wobei der König den 62-jährigen Arzt unter Wasser drückte. Deshalb fand man dessen Leiche mit blauem Fleck und Kratzern im Gesicht. Anschließend wäre der König nicht durch Ertrinken, sondern durch einen Herzschlag im 12 Grad kalten Wasser gestorben.
Zum Todeszeitpunkt wurden kaum Gerüchten laut, denen zufolge Ludwig ermordet wurde. Seine vielen Schlossbauten und verschwenderischen Ausgaben belasteten die Staatskasse allerdings immens. Der königliche Schuldenberg türmte sich 1884 bereits auf über acht Millionen Reichsmark. Spätestens jetzt war für die Minister gesteigerter Handlungsbedarf gegeben. Allein schon deshalb, weil sie ihre eigene Macht und das Ansehen Bayerns gefährdet sahen. Man hielt den kostspieligen Ludwig mittlerweile für einen Verrückten, dessen man sich entledigen sollte. In den letzten Lebensjahren zog sich der König zunehmend aus der Öffentlichkeit zurück. Meist lebte er auf Schloss Berg, im Sommer in Hohenschwangau und auf Linderhof. Oft hatten die Minister Mühe, ihn persönlich für Unterschriften in der Einsamkeit von Berghütten aufzusuchen. Zunehmend machte er die Nacht zum Tage, was ihm die Titulierung als Mondkönig einbrachte.
Dem König die Abdankung nahezulegen wagten die Bayern allerdings nicht. Wesentlich einfacher gestaltete es sich ihn für geisteskrank erklären zu lassen. Angesichts seiner bizarren Palastideen erschien das den Verantwortlichen durchaus plausibel. Ein ‚Spezialist für Gehirnanatomie‘, so hießen damals die Irrenärzte, erstellte daraufhin das zweifelhafte Gutachten zur Entmündigung. Ludwigs langjähriger Leibarzt, der ihn schon als Kind gekannt hatte, wurde dazu nicht angehört. Da man den König schlecht zu einem Arzttermin einbestellen konnte, fertigte der Psychiater seine ‚Expertise‘ in Abwesenheit des Monarchen an. Das genügte, um dessen Regierungsunfähigkeit festzustellen und dem Nachfolger Prinzregent Luitpold die Regierungsgeschäfte zu übertragen. Ob Ludwig tatsächlich geisteskrank war, ist bis heute umstritten. Immer wieder wurden posthum Diagnosen gestellt. Alle meist mit dem Ergebnis von paranoider Schizophrenie. Zumindest scheint der in seinen letzten Jahren völlig Vereinsamte an Halluzinationen gelitten zu haben. Ohne Zweifel baute er physisch stark ab. Er aß unmäßig und ungesund. Dazu trank er viel Alkohol. Sein einst schlanker Körper war aufgedunsen und fast alle Zähne fielen ihm aus. Zum Schlafen benötigte er Medikamente. Am Ende war er nur noch ein Schatten früherer Tage.
Allerdings kommen heutige Psychologen eher zu dem Schluss, dass des Königs Sozialphobie in Verbindung mit den Scham- und Schuldgefühlen durch seine bewiesenen homosexuellen Neigungen, zur Entwicklung einer ‚Sucht‘ führten. Das Mittel dieser Sucht wurden Ludwigs Bauvorhaben. Er flüchtete sich in eine Märchenwelt und entwarf Prunkbauten. Der ständig wachsende Schuldenberg brachte ihn in zusätzliche Schwierigkeiten. Diese beeinträchtigten seine Handlungs- und Regierungsfähigkeit in durchaus erheblichem Maße. Es stellte sich ein zunehmender Realitätsverlust ein. Dennoch war der König zu keinem Zeitpunkt geisteskrank, paranoid oder schizophren nach modernen Kriterien gewesen. Bei der 1886 in München durchgeführten pathologischen Untersuchung des toten Monarchen durch 13 Ärzte war auch der Leibarzt des Königs anwesend. Dieser war nicht von einer Krankheit Ludwigs überzeugt. Laut offizieller Mitteilung wurde die Diagnose der anderen teilnehmenden Irrenärzte jedoch in vollem Maße bestätigt. Das Ergebnis der Autopsie wurde nur teilweise für die Öffentlichkeit freigegeben.
Eine rot-weiße Schranke trennt als Absperrung von dem kiesigen Sand des Seeufers. Entschlossen schwinge ich beide Beine über die niedrige Abriegelung. Ein paar unebene Felsen führen hinab zur still daliegenden Wasseroberfläche. Düster spiegelt sich die Wintersonne am Ende dieses Tages immer noch in den Wellen. Trotz der einsetzenden Dämmerung kann ich von meinem Standpunkt aus den Schriftzug auf dem hölzernen Gedenkkreuz erkennen. ‚LUDWIG II, KÖNIG VON BAYERN‘. Die Buchstaben sind schlecht zu lesen. Die Witterung der vielen Jahr im Freien hat diese ihrer Ausprägung beraubt. Von der Vereinigung „Ludwig II. – Deine Treuen“ wurde das Denkmal 1918 errichtet und seither durch diesen gepflegt. Oberhalb des Holzkreuzes wurde für den toten Monarchen eine Votivkirche erreichtet. Jedes Jahr zum Todestag am 13. Juni findet hier ein Gedenkgottesdienst statt. Sanft schwappt das graue Wasser des winterlichen Sees bis zu meinen Turnschuhen. Der kalte Wind bläst mir über die weite, ungeschützte Wasserfläche ins Gesicht. Ich fühle mit dem Romantiker, der aus nicht geklärten Gründen hier den frühen Tod gefunden hat. Ludwigs Ertrinken wird für immer ein Rätsel bleiben. Das Ableben des Königs ist bis heute ungeklärt.
sehr interessanter Beitrag und den Bayerkönig. Seine Schlösser habe ich schon alle besucht und auch manches über ihn gelesen. Auch an der Stelle mit dem Kreuz im See war ich schon ! Ist aber alles schon einige Jahre her !!!!
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Vielen Dank. 🙂 Ich war auch schon in allen Schlössern und mag seine Geschichte einfach sehr. Liebe Grüße Lisa
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gleichfalls ! Das Jagdschloss “ Schachenhaus“ im Karwendelgebirge das fehlt mir noch. Ist aber auch nicht ganz so einfach zu erreichen. Auch auf der Ruine Falkenstein bei Pfronten war ich schon. Diese Ruine wurde von Ludwig gekauft und es war bereits in Auftrag gegeben dort ein neues Schloss ( ähnlich wie Neuschwanstein) zu bauen. Die Finanzlage und der Tod von Ludwig verhinderte das Ganze !!!
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In den beiden war ich tatsächlich noch nicht. Ich hab mal ein Jahr in München gelebt und gearbeitet und mir von dort viel von Ludwig II angeschaut. Nicht nur die Gebäude, sondern auch die wunderschöne Umgebung sind bei den Bauvorhaben ja immer gut gewählt. Es sit schon tragisch. Gerade wegen den Schlössern kommen ja heute so viele Touristen. Und bei Ludwig häuften sich damals die Schulden…
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ah ok wenn man schon mal in München gelebt hat ist das natürlich sehr praktisch. Der Staat Bayern verdient heute eine Menge Geld an den Schlössern und die damaligen Schulden sind schon x – mal getilgt !!!!
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