Fotos und Videos mit freundlicher Unterstützung von http://www.mallygrafie.de/
Am Zugfenster fliegt ein hölzernes Gebäude vorbei. ‚Auffangstation für Brieftauben‘ lese ich die verwitterten Buchstaben. Der Stift in meiner Hand hält inne. Verträumt blicke ich auf die Ansichtskarten, die ich meiner Familie und meinen Freunden von der Ostsee schreiben möchte. Von Vögeln übermittelt wären diese doch noch einmal etwas besonderes. Am Bahnhof von Schwerin will ich die Postkarten in den Briefschlitz des Kastens der Deutschen Post vor dem Hauptbahnhof werfen. Ich werde abrupt gebremst. Der Spalt ist verschlossen. ‚Derzeit gesperrt‘ prangt ein weithin lesbares Metallschild auf der Öffnung. In der Hauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern gibt es sicher noch viele weitere Briefkästen. Zumindest erscheint mir das logisch. Ich stecke die Karten in meine Tasche. Entlang des Pfaffenteichs, der mitten in der Innenstadt liegt, spaziere ich zur Altstadt. Grau schwappen die Wellen an die gräsernen Ufer. Spärlich recken sich die graugrünen Grashalme zum nassen Ufer hin. Im Sommer dümpelt eine kleine Fähre auf dem überschaubaren See. Im Dezember liegt der Tümpel in gemächlicher Ruhe und verströmt eine winterliche Stille. Im Hintergrund recken sich die Häuserspitzen der Altstadt, der rote Gipfel einer Backsteinkathedrale überragt die übrigen Gebäude.
Je näher ich dem Stadtkern komme, umso mehr kann ich die Giebel des Schweriner Wahrzeichens wahrnehmen. In naher Ferne leuchten die Türme des Schlosses in einem unwirklichen Zauber. Mitten in Deutschland bewege ich mich auf Disneyland zu. Ohne lästige Fahrgeschäfte. Nur umragt von wuchtigen Mauern, die eine verlässliche Stabilität und Würde ausstrahlen. Imposante Pferdestatuen begrenzen den Pfad des Eingangs, den ich bedächtig hinabschreite. Schwerins Schloss liegt auf dem Ende einer Landzunge, die mitten in den umgebenden See hineinreicht. Die winterliche Tristesse der Jahreszeit verstärkt die mystische Atmosphäre. Winzige Nebelschwaden umgeben die zierlichen Erker und reißen nur unstet über dem ruhig stehenden grauen Wasser auf. Wie in einem Märchen wandle ich über den einsamen gräulichgelben Sandweg. Ich bin bereit jederzeit eine Feen- oder Geistergestalt von dem dichten Nebelteppich zu unterscheiden und spaziere achtsam zum Schlosstor. Die eindrucksvollen steinernen Pferde, die alle Besucher des Palastes des Herzogs von Mecklenburg begrüßen, bleiben hinter mir zurück.
Das Schweriner Schloss war jahrhundertelang die Residenz der mecklenburgischen Herzöge und Großherzöge und ist heute Sitz des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern. Aufgrund seiner romantischen Erscheinung und immensen Anziehungskraft auf Besucher wird das Schweriner Schloss auch als „Neuschwanstein des Nordens“, „Cinderella-Schloss“ und als „Märchenschloss“ bezeichnet. Es ist ein deutscher Kandidat für das UNESCO-Welterbe, allerdings bisher noch nicht aufgenommen. Auch ich kann der Wirkung des Schlosses nicht widerstehen und fühle mich wie in einer Sage der Gebrüder Grimm. Herzog Friedrich Franz II. regierte hier von 1842 bis 1883. Seine unsterbliche Liebe Herzogin Auguste Reuß zu Schleiz-Köstritz verewigt der Adlige in vielen Gemälden und Portraits im gesamten Schloss. Die Vergötterung und Liebe ist in vielfachen Darstellungen Augustes für den Besucher sichtbar. Der Ehe entspringen 6 Kinder. Die Herzogin stirbt 1862, nachdem sie sich von der Entbindung ihres letzten Kindes nicht mehr erholt hatte. Eine tragische Verbindung.
Bis 1918 war das Schloss Residenz der Mecklenburgischen Herzöge und Großherzöge. Von einer hölzernen runden Platte sieht mich ein finster dreinblickendes, kleines Männchen an. Der gutmütige Kobold ist in den Kellern des Schweriner Schlosses zu Hause. Die Gewölbe des Palastes waren laut Sagen durch unterirdische Gänge mit dem Petersberg in Pinnow verbunden, wo der gutmütige Gnom als Schmied arbeitete. Den Weg konnte dieser sowohl schwimmend als auch fliegend zurück legen. Etwa 500 Sagen ranken sich um den Geist. Die Gestalt zeigte sich den Menschen in den verschiedensten Formen. Manchmal erscheint es als alter Mann mit runzligem Gesicht, dessen weißer, wallender Bart bis zur Brust reicht. Sein langer schwarzer Rock mit engen Ärmeln geht bis zu den Füßen. Um den Hals hat es einen weißen Kragen geschlungen. Auf dem Kopf sitzt eine runde Kappe. Oder das Petermännchen erscheint als mittelalterlicher Reitersmann mit flottem Schnurrbart. Es trägt ein kurzes Wams und hohe Reiterstiefel mit Sporen, einen Degen und einen Federhut. Am Gürtel klirrt gespenstisch sein Schlüsselbund. Das Gespenst weist auf die kommenden Ereignisse hin, wie eine Prophezeiung. Ein rotes Gewand verheißt Krieg, ein schwarzes Kleid sagt einen Tod in der Herzogsfamilie vorher. Ansonsten ist der Geist in grauer Kleidung unterwegs.
Als Hüter und Wächter des Schlosses belohnt die Zwergengestalt die Ehrlichen und Guten. Ausgerüstet mit Laterne und Schlüsselbund weckte es die Soldaten, die vor Erschöpfung bei ihrer Nachtwache eingeschlafen waren, um sie auf diese Weise vor Bestrafung zu schützen. Diebe und fremde Eindringlinge wurden mit Plagen, grausamen Späßen und mit nächtlichem Poltern bestraft oder vertrieben. Die letzten schriftlich festgehaltenen Begegnungen mit dem Petermännchen sollen eine Tochter der Schweriner Großherzöge und ein Polizist gehabt haben. Das Gespenst sei dem jungen Mädchen 1913 erschienen, als ein Teil des Schlosses lichterloh in Flammen stand. Als Schutzgeist der großherzoglichen Familie, könnte es dann aus dem Schloss verschwunden sein, als die Herrschaft der Adligen endete. Doch ein Polizist will im Jahre 1930 eine Gestalt mit spitzem Hut im Burggarten gesehen haben, die dann verschwand. So mancher Schweriner berichtet, dass sich des Nachts ein flackerndes Licht von Fenster zu Fenster zu bewegen scheint. Oder oben in einem der kleinen Türme jemand im Kerzenschein in einem Zimmer auf und ab geht. Ist das das Petermännchen? Wer weiß das schon genau. Nach dem ausgiebigen Schlossbesuch halte ich in der Schweriner Innenstadt nach Briefkästen Ausschau. Ohne Erfolg, ich finde nicht einen. Ist ja kein Wunder, wenn sich hier jeder auf die Brieftauben verlässt.
Schwerin wiederum hat mir sehr gut gefallen. 👍🏼
LikeLike
Ja Schwerin ist wirklich schön. Das Schloss vor allem, wie aus einem Märchen. 🙂 Liebe Grüße Lisa
LikeLike