Auf der Kogge in Wismar

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Es gibt Orte, an denen ist sprichwörtlich ‚der Hund begraben‘. Denke ich an diese Redewendung visualisiere ich ab sofort den Bahnhof von Bad Kleinen. Von Lübeck ist diese Stadt Umsteigepunkt Richtung Wismar. Das Land hier ist völlig flach und wird sehr viel landwirtschaftlich genutzt. Berge, Hügel oder Erhebungen gibt es nicht. Ich befinde mich ohne landschaftliche Abwechslung mitten in der Pampa von Mecklenburg-Vorpommern. Die Bahnstation besteht aus drei Gleisen. Zwei sind begehbar, der dritte wird seit 2016 renoviert und sollte schon im letzten Jahr wieder eröffnet werden. Eine bunte Fußgängerbrücke mit sämtlichen Farbnuancen des Regenbogens schlägt sich trostlos und nicht begehbar über die Bahnsteige. 40 Minuten Umsteigezeit, aber kein geöffneter Bäcker oder Cafe. Das Bahnhofsgebäude ist verschlossen, die Fenster aller Restaurants verdunkelt. Ich ziehe meinen kleinen Handgepäckskoffer zum Getränkemarkt neben dem Bahnhof und die Eingangstüren öffnen sich tatsächlich. Auch hier gibt es keinen Kaffee. Eine Gruppe von Russen ist mit mir aus dem einfahrenden Zug gefallen. Vom kyrillischen Wortschwall verstehe ich nur ein Wort. ‚Wodka.‘ Dann verdrücken sich die Jugendlichen wieder, vielleicht ist ihnen der Alkohol dann doch zu teuer. Ich spaziere zurück zum Gleis. Hier ist es völlig unspannend und einsam. Erleichtert sehe ich, dass der Regionalexpress zu Küste einrollt.

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Wismars schlanke Backsteinhäuser tauchen die Straßenzüge in ein immerwährendes Rot. Die hohen weißen Fenster streben gegen den Himmel und reflektieren die Strahlen der winterlichen Mittagssonne, die sich im Spiegelbild der graugrünen Wellen im Stadthafen brechen. Eine Reihe von moderneren Gebäuden versucht die ürsprüngliche Backsteinarchitektur in moderneren Fassaden nachzumachen. Im Souterrain der Häuser befindet sich ein Souvenirladen neben dem anderen. Ein hölzernes Schiff treibt träge und ohne Hektik auf den dunklen seichten Wellen. Einige Spaziergänger sind unterwegs. Die Weite des Hafens reflektiert eine gewünschte und willkommene Ruhe. Ich fühle mich auf gemütliche Weise isoliert und kann dieses Gefühl genießen. Ich halte mich mit beiden Händen an dem hölzernen Aufgang der mittelalterlichen Kogge fest, die starr und unbeweglich in der langsamen Meeresbewegung liegt. ‚Einen Kaffee bitte.‘ informiere ich monoton den alten und mürrisch dreinblickenden Seebär in der Kajütenküche und drücke ihm wortlos einen Euro in die Hand. Zwei weitere werfe ich in die Spendenbox des Vereins, der die altertümliche Barke unterhält. Die Kogge bewegt sich kaum. Es ist windstill und vom Meer weht keine Brise. Der metallene Wimpel im Ausguck klirrt nur kläglich und geräuscharm. Dennoch spüre ich den Salzgeschmack, der über dem Wasser liegt, auf den Lippen, als er sich mit dem kräftigen Kaffeearoma vermischt.

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Die ‚Wissemara‘ gehört zu den größten Nachbauten eines mittelalterlichen Schiffs. Die Kogge ist eng mit der Hanse, dem Interessenverband der Kaufleute im Mittelalter verbunden. Die Händler gründeten Gemeinschaften, um ihre wirtschaftlichen Interessen zur damaligen Zeit besser durchzusetzen. Handel per Pferd und Wagen war gefahrvoll, kostspielig und langwierig. Mit dem Schiff unterwegs zu sein war zwar auch nicht ungefährlich, aber mit der Kogge konnte man bis zu 230t Waren transportieren. Die ‚Lastesel der Hanse.‘ Der erfolgreichste Schiffstyp dieser Zeit brachte den Kaufleuten und Eignern nicht unerhebliche Gewinne. Dieser Aufschwung im Zeichen der Hanse bescherte auch Wismar Wohlstand und dadurch ein Stadtbild mit prächtigen Bauten. Ein 1997 vor der Insel Poel gemachter Wrackfund und dessen Datierung ins 14. Jhd. löste in der Bevölkerung von Wismar eine Begeisterung für den Nachbau eines mittelalterlichen Schiffs aus. Ein neuer Förderverein ‚Poeler Kogge‘ wurde 2002 gebildet und mit dem Nachbau einer Kogge beauftragt. Mitte 2006 wurde der Kahn fertiggestellt. Dabei ließ man sich von bestehenden nachgebauten Modellen, Wrackfunden und bildlichen sowie schriftlichen Quellen aus dem Mittelalter leiten.

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Mit über 30 m Länge und etwas mehr als 8 m Breite liegt der hölzerne Zeitzeuge im Stadthafen von Wismar. Im Sommer schippert die Kogge mit Tagesausflüglern auf der Ostsee, nun hält diese ihren Winterschlaf. Bei günstigem Wind kann sie eine Schnelligkeit von 6 Knoten erreichen, das sind etwa 11 Km/h. Als Besitzerin eines kleinen VW up! mit 45 PS kann ich über diese Angabe nur schmunzeln. Im Mittelalter kam man eben nicht so schnell voran. Am Hinterteil besitzt die Kogge eine Aussichtsplattform, das Achternkastell. Es dient insbesondere zur besseren Verteidigung und Optimierung der Übersichtlichkeit bei der Steuerung und Navigation. Feiner Nieselregen setzt ein. Ich tapse vorsichtig über die hölzernen Kieferplanken. Eine Hand für das Schiff, um mich festzuhalten. Eine Hand nutze ich für mich selbst. Auf den rutschigen Holzbohlen erinnere ich mich an die Seemannsweisheit. Regelmäßig gemahnen mich Schilder zur Vorsicht. Im Bauch des Schiffes befindet sich ein Gemeinschaftsraum bzw. eine Kneipe. Der durchdringende und intensive Geruch nach gebeiztem Holz und der dafür nötigen Beize füllt die altertümliche Atmosphäre. Dieses Aroma ist so umfangreich und eindringlich, dass ich mich in die frische salzgeladene Meeresbrise flüchte.

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Wismars Innenstadt besteht aus aufstrebenden Hansehäusern gebaut aus roten Backsteinen oder mit pastellfarbenen Fassaden. Ein kurzer Spaziergang erschließt mir die gesamte Stadt, der Ort ist recht überschaubar. Gegen die vielen Farben wirken die puderzuckerweißen Verzierungen der vielen Häusergiebel als scharfer Kontrast. Der Himmel ist grau und wolkenverhangen. Dennoch fühlt sich das Wetter mehr nach Herbst als nach Winter an. Es sind immerhin fast 10 Grad. Tagesausflügler bringen Hektik in die schmalen Kopfsteingassen. Zum Abendessen am früheren Abend finde ich kaum einen Platz in einem Restaurant. Eine Stunde später sind die Straßen verlassen. Die überfüllten Ausflugsbusse haben Wismar verlassen und lassen Einsamkeit in den Gassen zurück. Die Lebhaftigkeit ist einer beschaulichen Ruhe gewichen. Kein Fussgänger ist in der Innenstadt. Ich bin allein und genieße die Stille. Meine Schritte hallen in den dunklen Ecken der Altstadt auf den steinernen Bordsteinen. Ein wunderbares Gefühl des inneren Gleichgewichts bringt diese gewünschte Tonlosigkeit mit sich. Die Dunkelheit bricht plötzlich herein und der weiße Halbmond blitzt am finsteren Himmel in der undurchdringlichen Schwärze der Winternacht. Nur das gleichmäßige Echo meine Spaziergangs erfüllt die Luft. Ich begrüße die Verlassenheit der Umgebung. Es ist genau dieses Gefühl der inneren Balance, nachdem ich in diesem Urlaub gesucht hatte.

 


3 Gedanken zu “Auf der Kogge in Wismar

  1. Diese Ruhe und Stille an Pfingsten war uns etwas zuviel, weswegen wir Wismar nach kurzer Zeit verlassen hatten. Irgendwie haben Wismar und ich noch nicht zueinandergefunden.
    Der Bahnhof von Bad Kleinen ist mir jedoch nachrichtendienstlich und „Verhaftung von RAF Mitgliedern“ schon eher vom Namen bekannt.

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    1. Ich war auch nur einen Tag dort, obwohl ich zwei Übernachtungen gebucht hatte. Am zweiten Tag bin ich nach Schwerin gefahren, Wismar ist ja wirklich sehr überschaubar. 🙂 Ich hab die RAF-Verhaftung von 1993 in Bad Kleinen mal recherchiert. Hätte ich nie gedacht, dass an so einem toten Fleck mal geschossen wurde. Im Grunde erzählt eben jeder Ort eine Geschichte. Liebe Grüße Lisa

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