Abschied von der russischen Mentalität

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Am Abend werde ich die russische nicht lächelnde Mentalität hinter mir lassen. Genug Zeit um die Peter- und Paulfestung zu besuchen. Russland ist ein interessantes Land, unterscheidet es sich doch so stark im Denken der Gesellschaft von meinem Heimatland. Ich bin froh wieder nach Hause zu fliegen. Mit der Mentalität kann ich mich schwer abfinden. So viele Menschen, die generell nicht an Fremden oder anderen Kulturen interessiert sind. Sie durchziehen wie ein erdrückender lebendiger Teppich die gesamte Stadt und ersticken jede freundliche Regung schon im Keim. Gestik und Ausdruck der Einheimischen mutet mir oftmals unhöflich und rücksichtslos an. Ich fühle mich nicht willkommen und bin es wahrscheinlich auch nicht. Dennoch darf ich dies nicht auf alle Russen verallgemeinern.

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Ich habe von Zeit zu Zeit viel Freundlichkeit erfahren. Diese ist um so mehr in unnatürlichem Glanz aufgeblitzt, weil ich sie nicht mehr erwartet habe. Die aufmerksamen und hilfsbereiten Menschen kamen immer dann zum Vorschein, wenn ich am wenigsten an sie dachte. In absolut jedem Land der Welt gibt es zwei Seiten einer Gesellschaft. Ich bin froh auch in Russland die aufgeschlossene gefunden zu haben. Russen, die mir ohne Englischkenntnisse mit Gesten weitergeholfen haben, wenn ich die passende Richtung aus der U-Bahnstation nicht gefunden habe. Einheimische, die den Übersetzer in ihrem Handy genutzt haben, um zu verstehen was ich sage. Ein kleines Mädchen, dass mich zaghaft und mit neugierig aufgerissenen Augen anlächelt, auch wenn es in diesem Land nicht üblich ist. Jede Mentalität hat ein positives und ein negatives Spiegelbild. Eine authentische Reise bedeutet beide zu erblicken.

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Die Peter- und Paulfestung ist das historische Zentrum vom St. Petersburg des 18. Jhd. Die Kaserne ist eines der berüchtigten Gefängnisse des Zarenreichs. Hier wurden hauptsächlich politische Gefangene inhaftiert. Maxim Gorki, der berühmte russische Schriftsteller, war ebenfalls hier eingesperrt. Während der Russischen Revolution am Petersburger Blutsonntag im Januar 1905 erfasste ein Generalstreik Maschinenbauwerke, Werften, Manufakturen und Webereien. Die Einheimischen wollten friedlich für menschenwürdigere Betriebsbedingungen,  die Abschaffung der Zensur und religiöse Toleranz demonstrieren. Auf dem Weg zum Zarenpalast wurden die Demonstranten von Soldaten aufgehalten, die unkontrolliert in die Menge schossen. Nach seinem Protest gegen das Niedermetzeln der unschuldigen Bevölkerung wurde Maxim Gorki festgenommen und einen Monat inhaftiert. Ebenso in Haft befand sich der russische Revolutionär und ältere Bruder von Lenin, Alexander Iljitsch Uljanow. Er war Teil der terroristischen Fraktion ‚Narodnaja Wolja‘, die nach dem erfolgreichen Attentat auf den russischen Zaren Alexander II. im März 1881 auch die Ermordung seines Nachfolgers Alexander III. plante. Uljanow wurde von der russischen Polizei entdeckt und in der Peter-und-Paul-Festung eingesperrt.Vor Gericht gestellt erklärte er: ‚Man ermutigt uns, unsere intellektuellen Fähigkeiten zu entwickeln, aber man gestattet uns nicht, sie zum Wohle des Volkes zu gebrauchen.‘ 1887 wurde Lenins Bruder zum Tode verurteilt und gehängt.

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Im Mittelpunkt der Anlage liegt die Peter-und-Paul-Kathedrale mit einer leuchtenden goldenen Dachspitze, auf der sich vielfach die Sonnenstrahlen des Nachmittags in einem goldenen Schimmer über das ganze Dach brechen. In der Kirche befinden sich die zahlreichen Gräber der Zarenfamilie Romanov. Ihre Särge wurden aus weißem Marmor gestaltet, einzig Alexander II. und seine Frau bekamen Särge aus grünem, beziehungsweise rotem Marmor, da man sie für die Befreiung der Leibeigenen in ihrer Regierungszeit besonders würdigen wollte. Während meines Besuchs spielt eine russische Militärkapelle. Die vielen Märsche sowjetischer Komponisten umrahmen die strenge militärische Umgebung und den dunkelgrauen Himmel in einer spürbaren, kalten Tristesse, die zu diesem großen Land und seiner Mentalität passt.

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Am Nachmittag bringt mich die Metro zur Haltestelle, von wo der Bus zum Flughafen abfahren soll. Ratternd schleife ich meinen kleinen Handgepäckkoffer über den Gehsteig. Die Russlandreise hat uns beiden schwer zugesetzt, eines der Kofferräder ist gebrochen und beim Hinterherziehen komplett abgeschmirgelt worden. Schwerfällig rutscht daher der Stoff über den festen Steinboden. Hilflos nach dem richtigen Ausgang suchend, der mich zur Bushaltestelle bringt, blicke ich mich um. ‚Aeroport?‘ fragt mich ein älterer Mann und deutet eindringlich auf ein Schild, das die Umrisse eines Flugzeugs zeigt. Erleichtert nicke ich ihm zu. Mit einer einladenden Handbewegung winkt er mich herüber. Das furchtbare, misstönende Geräusch des kaputten Koffers begleitet jeden meiner Schritte. Wortlos nimmt der Russe mein Gepäck und trägt es etliche Treppenstufen hinauf ins Tageslicht. An der Haltestelle setzt er meinen Koffer ab und mit einem freundlich winkenden Handgruß verabschiedet er sich. Meine Reise geht mit einer hilfsbereiten, lieben Geste zu Ende. Was mir selbst wieder einmal zeigt, wie gefährlich es ist, sich von Verallgemeinerungen und ersten Eindrücken leiten und beeinflussen zu lassen. Baka (Tschüss) Russland!

 

 


3 Gedanken zu “Abschied von der russischen Mentalität

  1. Ich glaube, die russische Art und Weise ist für uns eher gewöhnungsbedürftig. Ich bin in Helsinki oft darauf gestoßen; während die Finnen sehr höflich und zurückhaltend waren, waren die Russen eher… offensiver. Und mit „offensiv“ meine ich… nun, während dir ein Finne aus dem Weg geht, rempelt dich ein Russe im Zweifelsfalle an. Während Finnen eher den Blickkontakt meiden, schauen dir Russen sehr unverwandt ins Gesicht. Und so weiter… Eine Freundin von mir hat dieses Verhalten einmal mit „Sieger-Nation“ umschrieben. Aber irgendwie mag ich mich mit dieser Erklärung nicht zufrieden geben. Bist Du am Schluss mit den Menschen ein bisschen warm geworden? 🙂

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  2. Okay, hätte ich den Beitrag vor dem Kommentieren gelesen, hätte ich gemerkt, dass sich meine letzte Frage darin beantwortet 😉 Lg

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  3. Ich glaube die Art der meisten Russen ist ein Zusammenspiel aus verschiedenen Faktoren. Da die Einreisebestimmungen mit Visum sehr strikt und aufwendig sind, kommen weniger Touristen ins Land, die nicht auch in einem sowjetischen Umfeld leben. Die westliche Kultur ist nicht wirklich präsent. Die Erziehung in so einer Umgebung ist auch viel rauer und weniger zaghaft als bei uns. Zum Leben steht viel weniger zur Verfügung, als wir gewohnt sind. Die Menschen müssen unter ganz anderen Bedingungen zurecht kommen und sind noch von der ursprünglichen Planwirtschaft geprägt. Zudem hat die Gewalt im Alltag in Russland durch eine radikal geprägte Denkweise von vielen Russen eine sehr hohe Toleranz. Ob im eigenen Haus oder gegenüber Randgruppen wie Schwarzen oder Homosexuellen auf der Straße. Und wer nicht dafür ist, ist dann automatisch dagegen oder? Wie ergeht es in so einer Gesellschaft dann jemandem der gegen den Strom schwimmt? Wahrscheinlich muss man die Menschen dort erst besser kennen, um wirklich zu urteilen. Wenn man die anfängliche Distanz überwunden hat, entdeckt man erstmal den Menschen. Ich hätte etwas mehr Zeit gebraucht. 😉

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